Dass am Johannisplatz in Gera auch am Wochenende Chorklänge zu hören sind, ist ungewöhnlich. Verantwortlich dafür ist ein besonderes Ereignis, welches ein Novum in der Geschichte der Musikspezialklassen des Rutheneums darstellt. So fanden sich am vergangenen Wochenende 40 Alumni zusammen, die begeistert der Idee der Organisatoren Kristina Flohr (Abiturjahrgang 2015) und Toni Sehler (Abiturjahrgang 2016) folgten, gemeinsam geteilte Stunden aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen und das Erarbeitete zum Muttertag in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula der Schule darzubieten. Obwohl sich erfreulicherweise auch Sängerinnen und Sänger älterer Generationen im Chor wiederfinden (der am längsten zurückliegende Abschluss datiert sich auf 1995), besteht der Großteil des Chores jedoch aus der Generation, welche für die erfolgreichen Teilnahmen bei den Wettbewerben in Plzeň, Riva del Garda, Budapest und zuletzt New York mit verantwortlich waren. So wundert es nicht, dass vor allem Werke, die Bestandteil dieser Wettbewerbsliteratur waren, - als Beispiele genannt seien hier Johann Hermann Scheins „Zion spricht“ und Felix Mendelssohn Bartholdys „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir“ - nahezu an das anknüpfen können, was damals in detaillierter Feinarbeit erarbeitet und so unausweichlich ins Bewusstsein eingedrungen ist. Bezaubernde Klänge entstehen vor allem in getragenen, sentimentalen Stücke, darunter Claude Debussys „Dieu!“, Felix Mendelssohn Bartholdys „Richte mich, Gott“ und nicht zuletzt Josef Rheinbergers „Abendlied“, welches sogar am frühen Nachmittag die Stimmung einer Abenddämmerung emotional vermittelt. Wache, von den Noten losgelöste Augen, folgen dem gewohnt ausdrucksstarken Dirigat des Chorleiters Christian K. Frank, der darüber hinaus sogar noch Zeit zum Nachjustieren findet. Fehlerfrei verläuft das Konzert nämlich nicht, was man in Anbetracht der wenigen Probenzeit und dem umfangreichen Programm mit einem Schmunzeln hinnehmen kann. Dennoch: musikalisch das Höchste erreichen zu wollen, das ist ein Prozess, welchen das Ensemble künftig durchlaufen muss und spürbar möchte.
Obwohl natürlich nicht alle Alumni der Spezialklassen ihren beruflichen Werdegang musikalisch fortsetzten und somit unter Umständen die Gesangsausbildung komplett aus dem Alltag verschwunden ist, entsteht dennoch ein homogener und erwachsener Chorklang, der je nach Anzeige des Dirigenten voluminös satt oder auch präzise und zackig ist. Dies verlangt Zoltan Kodalys Stück „Jesus und die Krämer“, das sich deutlich von der Homophonie der vorangegangenen Werke abzeichnet. Der leidenschaftliche und ausdrucksstarke Vortrag des wirklich anspruchsvollen Stücks beweist einmal mehr, dass das Ensemble problemlos zusammengefunden hat. Als Höhepunkt und Abschluss experimentiert der Chor dann in Erik Esenvalds „Stars“ mit gefüllten Weingläser, die, während sie beim Singen gerieben werden, einen grell schimmernden Klang erzeugen und die Vorstellung einer klaren Sternennacht vermitteln. Eric Whitacres „Cloudburst“, der Wolkenausbruch also, der sich an die Ruhe vor dem Sturm anschließt und von Handglocken, Schlagwerk und Fingerschnipsen begleitet wird, mündet im begeisterten, von stehen Ovationen geleiteten Applaus. Das ungewisse Experiment „Ehemaligenchor“ scheint geglückt. Zum Abschied bedankt sich der Chor mit dem deutschen Volkslied „Der Mond ist aufgegangen“ in einem Satz von Rolf Lukowsky, das seit jeher am Rutheneum gesungen wird.
Dass das neu gegründete Ensemble keine Konkurrenz zum Konzertchor darstellen soll, betont Moderator und Mitorganisator Toni Sehler eindringlich. Ziel des Alumnichores sei ein Teil der Ehemaligenarbeit der Schule, der längst überfällig ist und offensichtlich auf viel Zustimmung stößt, so Sehler. Um dies weiterhin zu verfolgen und den Ehemaligenchor zu etablieren, sind bereits jetzt zwei weitere Projekte für Oktober 2018 und Juni 2019 geplant. Dafür sind alle Ehemaligen aus den Reihen der Musikspezialklassen herzlichen eingeladen!
14.05.2018, Tobias Hohberg