Ins Geraer Mittelalter geschaut: Grabung auf Campus-Gelände wird ausgewertet
Einige tausend Fundstücke haben Mitarbeiter des Landesamtes vorigen Sommer und Herbst auf der Baustelle für den Campus Rutheneum geborgen. Die Grabung wird derzeit ausgewertet.
Gera. „Es war die erste innerstädtische Grabung in Gera“, sagt Karin Sczech vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Weimar. Der zeitraubende Teil der Bewahrungsarbeit hat gerade erst begonnen. Einige tausend Fundstücke, hauptsächlich Keramik, haben Mitarbeiter des Landesamtes vorigen Sommer und Herbst auf der Baustelle für den Campus Rutheneum geborgen. Die Theorie der älteren Stadtmauer hat sich nicht bestätigt. „Wir kommen recht weit zurück, wie weit, das muss jetzt die Bearbeitung der Fundstücke zeigen“, sagte gestern Karin Sczech. Die Referentin für das Gebietsreferat Städte im Landesamt, beriet gestern in Gera die Begleitung weiterer Arbeiten an den Campus-Freiflächen.
„Das 13. Jahrhundert war auf der Grabungsstelle auf jeden Fall vertreten“, berichtet Roland Altwein, der die Grabung in Gera organisierte und das Grabungsfeld vermessen hat. Dass es auch Älteres gab, räumt er ein. Nur seien jene Fundstücke für eine eindeutige Datierung nicht zahlreich genug gewesen. Gefunden wurden sie im Areal des Näglerschen Hauses.
Es stand bis zu seiner Zerstörung 1945 etwa gegenüber der heutigen Einmündung des Abschnittes der Florian-Geyer-Straße, die zum Kornmarkt führt. Seinen Ursprung habe man bis ins Mittellalter zurückverfolgen können. Vielleicht hat er einem Burgmann von Schloss Osterstein gehört, der in als Lehn erhielt, mutmaßt Roland Altwein. Um 1400 als Freihof geführt, mussten seine Bewohner keine Steuern zahlen. Verschwunden ist der Hof erst am Ende des Zweiten Weltkrieges. Zuvor erlebte er viele Umbauphasen. Wo genau die Baunähte sitzen und wann umgebaut wurde, müsse jetzt aus der Relation zu den Schichten in den gefundenen Gruben ermittelt werden. „Denn eine Mauerwerk datiert sich nicht aus sich selbst heraus“, sagt Frau Sczech. Helfen können dabei auch Brandspuren, die die Stadtbrände 1685 und 1780 hinterlassen haben. Und vielleicht auch die einzige gefundene Kupfermünze, die noch nicht datiert ist.
Nördlich des Näglerschen Hauses stand der 1739 errichtete Südflügel des ursprünglich 1720 nur zweiflügelig erbauten Regierungsgebäudes. Der Südflügel wurde nach dem Stadtbrand 1780 nicht wieder aufgebaut. Vielmehr brach man ihn wie die benachbarte Johanniskirche 1820 ab. An seine Stelle wurde 1884 bis 1886 das neue Landtagsgebäude gebaut, das 1945 komplett zerstört wurde.
Überlebt hat davon offenbar eine Schreibmaschine. Roland Altwein zeigt ein Foto mit zerknautschtem Metall, aus denen eindeutig runde Tasten hervor ragen. Gefunden wurde sie in einer Verfüllung im Keller des alten Südflügels. Auch Briketts hätten dort noch gelegen, erzählt der 61-Jährige. Die Schreibmaschine ist bewahrt und wird vielleicht einmal ausgestellt. Während die meisten Fundstücke in die Weimarer Depots wandern haben der barocke Sockelfuß und einige Steine aus den alten Mauern die Chance, auf dem Areal zu überleben. Jedenfalls wurden sie vom Bauherrn für den Zweck abgebaut, in die Freiflächengestaltung integriert zu werden.Die historische Freifläche zwischen dem Näglerschen Haus und dem Regierungsgebäude war auch für die Archäologen die mit großer Spannung geöffnete. Auf der alten Hoffläche, so erklärt die Gebietsreferentin, fanden sie wie erwartet ungestörte Befunde vor. Denn überall dort, wo schon einmal eine Mauer errichtet oder ein Keller gegraben wurde, ist nichts mehr ursprünglich. Tatsächlich wurden hier viele Funde aus Erdkellern geborgen, die im lehmigen Untergrund ohne Mauern ausgekommen waren.
Vom Geraer Mittelalter an der Burgstraße ist jetzt nichts mehr zu sehen. Was die etwa 400 Besucher auf der Grabungsstelle zum Tag des offenen Denkmals im September noch bewunderten, ist vom Bagger weggegraben – für das Fundament des neuen Schulgebäudes für den Campus Rutheneum.
Das Interesse der Archäologen am noch nicht untersuchten Untergrund versiegt deshalb nicht. Erst in der Vorwoche waren Knochen auf der Johannisplatz-Seite des Nordflügels des Regierungsgebäude entdeckt worden. Vermutlich gehören sie zu einer Beingrube oder einem Beinhaus. Die alte Johanniskirche war früher von einem Friedhof umgeben. Innerstädtische Friedhöfe, so berichtet Frau Sczech, die seit 20 Jahren Gebietsreferentin für die Thüringer Städte ist, haben oft Platznot gehabt. Deshalb seien bei der Auflassung der Gräber die größten Knochen gesammelt und meist am Rand der Anlage aufbewahrt worden.
Sylvia Eigenrauch