Geras ältestes Gymnasium wird 410 Jahre


Heinrich Posthumus gründete die Schule und beauftragte einen Leipziger Professor mit der inhaltlichen Ausrichtung.

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1863 bis 1958 hatte das Standbild von Heinrich Posthumus seinen Platz vor dem Gymnasium. Foto: Repro

Gera. 410 Jahre gibt es das Rutheneum, Geras ältestes Gymnasium, in diesem Jahr. An die Gründung 1608 soll eine Ausstellung im Stadtmuseum erinnern. Das Stadtarchiv Gera veröffentlicht heute seinen ersten Newsletter des Jahres 2018. Darin wird auch auf die Geschichte dieser Schule eingegangen. Der Text speist sich auch aus einem unveröffentlichten Manuskript von Ute Heckmann und einer im Auftrag des Schulfördervereins 2007 herausgegebenen Schrift: „Im Banne der Penne“.

Posthumus übernahm jung Regierungsgeschäfte

Als Heinrich Posthumus (1572-1635) im Alter von gerade einmal 23 Jahren 1595 die Regierungsgeschäfte für seine damals noch in der Staatsform einer Grafschaft befindlichen Territorien Reuß jüngerer Linie übernahm, verfügte er bereits über dezidierte Pläne für die künftige Struktur seines Landes. Die vier Hauptsäulen seines Wirkens erstreckten sich auf die Einhaltung und Pflege des evangelischen Glaubens, die Etablierung einer gewissenhaften, effektiven Verwaltung und Rechtspflege, die Schaffung einer Polizei zur Garantie von Ruhe und Ordnung sowie die Einleitung von Maßnahmen zur Verbesserung des Schulwesens.

Eines seiner Lieblingsprojekte stellte in diesem Kontext zweifelsfrei der Bau und die Einrichtung eines „Gymnasium illustre“ beziehungsweise. „Gymnasium academicum“ dar, das nicht nur dem Zweck diente für den eigenen Kleinstaat kompetente Geistliche, Lehrer und Beamte hervorzubringen, sondern auch eine überregionale Strahlkraft der Bildungseinrichtung und natürlich auch ihres Begründers versprach. Posthumus selbst hatte seine Ausbildung an der Universität in Jena sowie in Straßburg genossen und auch seine in Form von Berichten überlieferten Reisen nach Dänemark, Prag, Heidelberg, Frankfurt am Main und in andere deutsche Territorien mögen ihm wohl Impulse für die Ausgestaltung seiner Reformpläne gegeben haben.In den thüringischen Territorien konnte der weitsichtige, engagierte Potentat dabei auf Vorbilder in Gotha (1524 Gründung des Ernestinums), Eisenach (1544 Gründung des Karl-Friedrich-Gymnasiums) sowie auf die 1554 in Roßleben gegründete Klosterschule blicken, die analog zum Rutheneum einen hochschulqualifizierenden Bildungsansatz verfolgten und auf dem Bildungsniveau der bisher in Gera vorhandenen Trivialschule, die elementare Kenntnisse auf den Gebieten des Rechnens, Lesens und Schreibens vermittelte, aufbauten. Erste Überlegungen und Entwürfe zur Errichtung einer Landesschule in Gera existierten bereits im Jahr 1602 und fanden mit der Grundsteinlegung am 8. April 1605 den Anfang ihrer Umsetzung.

Zeitgleich zur baulichen Errichtung des Schulkomplexes erfolgte auch die inhaltliche Konzeptionierung des Unterrichts, mit der federführend der angesehene Leipziger Professor Magister Hieronymus Megiser (1553-1618) betraut wurde. Im Zusammenwirken mit anderen Gelehrten der Jenaer Universität sowie mit dem lokalen Konsistorium, das der Landesherr 1604 neben der Kanzlei in ihrer Zuständigkeit für weltliche Angelegenheiten, als Anlaufstelle für geistliche Belange ins Leben gerufen hatte, wurde nun der Rahmenplan für die Lehrinhalte der betont lutherisch-protestantischen Einrichtung entworfen.

Neben der Unterrichtung der Trivialschüler umfasste die ausschließlich der Ausbildung von Knaben vorbehaltene Landesschule sechs Gymnasialklassen. Der vollständig in Latein durchgeführte Unterricht, welcher den Gebrauch der deutschen Sprache untersagte, umfasste unter anderem die Fächer Griechisch, Hebräisch, Rhetorik, Didaktik, Logik, Ethik, Philosophie, Mathematik, Musik sowie die Grundlagen der Medizin, Rechtswissenschaften und Theologie. Auf diese Weise konnten die Absolventen bestmöglich auf den späteren Besuch einer Universität vorbereitet werden. Die Vermittlung der Bildungsinhalte erfolgte durch Diktat und Auswendiglernen der Lehrinhalte, sodass die Gymnasiasten schon frühzeitig ihr Gedächtnis sowie das eigene Abstraktionsvermögen schulen mussten.

Eingeweiht am 6. Mai 1608

Mit dem Erlass eines Gründungsbriefes durch Heinrich Posthumus am 12. März 1608 und der anschließenden feierlichen Eröffnung des Gymnasium Rutheneum am 6. Mai desselben Jahres konnte der Lehrbetrieb erfolgreich aufgenommen werden. Die tadellose Reputation der Bildungsstätte verbreitete sich rasch über die Grenzen Geras hinaus und bescherte der mit Internat geführten Einrichtung bereits im Jahr nach der Einweihung 364 Schüler, was mit Blick auf die damals in Gera lebende Bevölkerung von rund 2000 Einwohnern wohl einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt gehabt haben dürfte.

Matrikelbücher werden im Stadtarchiv verwahrt

Der langfristige Erfolg des Gymnasiums wird auch beim Studium der im Stadtarchiv Gera verwahrten Matrikelbücher deutlich, denn diese hier ab dem Jahr 1781 überlieferten Schülerlisten geben Auskunft darüber, dass die ausgebildeten Gymnasiasten keineswegs nur aus Gera und den unmittelbar umliegenden Orten stammten, sondern dass das Rutheneum auch von Schülern aus anderen deutschen Kleinstaaten (unter anderem Reuß älterer Linie, den ernestinischen und schwarzburgischen Staaten) sowie aus Kur­sachsen, vereinzelt sogar aus Böhmen, dem Elsaß, Schlesien und England frequentiert wurde.

Ein bekannter Schüler des Rutheneums war der 1818 in Zeulenroda geborene Ferdinand Schröder. In den Schülerlisten konnte er im Sommerhalbjahr 1835 in der II. Classe des Geraer Gymnasiums nachgewiesen werden (siehe Abbildung unten). Bekanntheit erlangte er weniger als Augenarzt, sondern vor allem durch seine bis heute sehr bekannten politischen Karikaturen anlässlich der Geschehnisse der 1848er Revolution.

Dass eine Traditionsstätte wie das Gymnasium Rutheneum auch die zeitgeistimmanenten Wandlungen und Veränderungen der letzten fünf Jahrhunderte durchleben musste und auch aktuell durchlebt, stellt eine Selbstverständlichkeit dar und könnte in einer wünschenswerten Aufarbeitung der Geraer Schulgeschichte ganze Buchbände füllen.

Geblieben vom einstigen Gründungsgeist Heinrich Posthumus‘, dessen Standbild von 1863 bis 1958 den Johannisplatz vor dem 1887 eingeweihten neuen Gymnasialgebäude zierte, ist jedoch unter anderem die Pflege der musischen Traditionen. Sie nahmen mit der Gründung eines Schultheaters (1609/1610-1784) und der Unterhaltung eines Schulchores ihren Auftakt. Unter der Regie von Johann Sebastian Mitternacht (1613-1679) als Rektor erlebte das Geraer Rutheneum eine Blütezeit. Er ließ es zu einem der angesehensten mitteldeutschen Bildungsstätten ihrer Zeit avancieren. Auch der generelle, breit gefächerte Bildungsanspruch, dessen substanzielle Grundlage neben der Anstellung kompetenter Pädagogen auch die durch den Schulstifter initiierte Gründung einer Gymnasialbibliothek im Jahr 1624 bildete, die stetig um Grundlagenwerke ergänzt wurde und erst 1920, als auch die gymnasiale Mineraliensammlung an das Stadtmuseum übergeben wurde, in den Bestand der öffentlichen Bibliothek überging, bleibt bis heute lebendig.

Hochschulen greifen Tradition auf

Augenfällig wird an diesen Beispielen auch die von Anbeginn des Gymnasiums geförderte enge Verbindung von theoretischer Wissensvermittlung und deren praktischer Anwendung anhand der Nutzung verschiedenster Sammlungen und dem Angebot facettenreicher Lehrveranstaltungen, die bis heute einerseits am Gymnasium Rutheneum selbst, nunmehr aber auch an den beiden in Gera beheimateten Hochschulen praktiziert wird. Neben diesen exemplarisch angedeuteten, inhaltlichen Kontinuitätslinien stellt auch die nunmehr städtebauliche Errichtung des Campus Rutheneum im Herzen Geras eine Parallele zum historischen Kollegienhofensemble der Posthumuszeit dar.

Christel Gäbler (15.02.2018)