16.06.2021 | Beitrag teilen Beitrag teilen: | Domain: https://OK | Link wurde kopiert! |
Foto: © Free-Photos/Pixabay
Ganze fünf Milliarden Euro hat sich die Bundesregierung die Förderung der Digitalisierung an deutschen Schulen im Rahmen des Digitalpakts kosten lassen; 500 Millionen Euro davon sind für die Beschaffung von Unterrichts-geeigneten
Tablets für bedürftige Schüler
eingeplant. Mit sogenannten
„iPads“
des US-Konzerns Apple sollen auch am Rutheneum künftig ganze Klassen ausgestattet werden. Bei solchen Unterfangen handelt es sich jedoch um eine grandiose Sackgasse.
iPads als digitale Schreibblöcke?
Auf der einen Seite mögen gerade Tablets gewisse Annehmlichkeiten im Alltag bieten, auch im Schülerdasein. So machen es etwa Eingabestifte möglich, direkt auf dem Bildschirm zu schreiben und einfach „Tafelbilder zu übernehmen“, wie es im Lehrer-Jargon heißt. Eine Anbindung an digitale Infrastruktur der Schule, wie z.B. die
schul.cloud
,
wäre selbstverständlich auch möglich, ganz zu schweigen von unkomplizierter Internet-Recherche als Einzelaufgabe im Unterricht. Dazu wirken vor allem iPads dank ihres „smoothen“ Designs, der vielen „einzigartigen“ Funktionen und des ohnehin „hippen“ Nimbus auf jedermann faszinierend, ja regelrecht hypnotisierend. Verständlich, dass der „bürgernah-fancy“ Politiker aus dem 21. (also fast 22.) Jahrhundert mit diesem Hype unbedingt mithalten muss. Könnte ihn sonst ja vielleicht seine Wiederwahl kosten.
Tatsächlich liegt es nicht ganz fern, Digitalisierungs-Vorhaben als Wahlkampfmasche derer zu betrachten, die aufgrund einer katastrophalen Skandalhistorie in den letzten Jahren jeder Gelegenheit entgegenfiebern, sich als visionäre Zukunftsmacher zu inszenieren. Handelte es sich bei der Motivation tatsächlich um eine umfassende, zielorientierte Förderung des Bildungswesens und vor allem der Schüler, dann hätte man in größerem und diverserem Maßstab investiert. Viele andere Staaten geben wesentlich mehr Geld für Bildung aus. Finnland, Dänemark, Schweden, Norwegen und Island leisten sich hierfür
über sieben Prozent
(2014/2015) ihres Bruttoinlandsprodukts – im Gegensatz zu Deutschland, wo bloß 4,8% (2015) drin sind. Vier Jahre später waren es nur noch
4,3%
.
Worauf Tablets nicht ausgelegt sind
Doch was ist nun das Problem mit iPads? Bieten sie denn nicht alles, was das Schülerherz begehrt? Sicher sind Apple-Produkte qualitativ durchaus höherwertig als Konkurrenzprodukte. Der Hauptmakel liegt jedoch in den grundsätzlichen Eigenschaften eines Tablets: Es leistet einfach nicht genug, um den Anforderungen eines universellen Lernwerkzeugs gerecht zu werden.
Für viele Dinge des digitalen Schulalltags sind Mobilgeräte wie Tablets schlicht nicht ausgelegt. So halten Schüler von der fünften bis zur zwölften Klassenstufe vor allem in den Sprachfächern sowie in Geografie oder Physik regelmäßig Referate, bei denen oftmals Vortrags-Präsentationen per Beamer oder „SmartBoard“ gezeigt werden. Diese sind zwar nur selten tatsächlich verpflichtend einzusetzen, doch Programme wie „Microsoft PowerPoint“ oder „OpenOffice Impress“ gehören längst zum festen Repertoire des digital versierten Schülers. Da jene Anwendungen nur auf Rechnern sinnvoll genutzt werden können, sind Tablets hierfür nicht ausreichend.
Ähnliches gilt selbst für gewöhnliche Textverarbeitung, denn einschlägige Software wie „Microsoft Word“ gibt es zwar mittlerweile auch für Android und iOS, doch lange Fließtexte auf einer Touchscreen-Tastatur oder per Stift zu verfassen, ist alles andere als eine Freude. Zumindest wenn man mit dem Genuss physischer Tastaturen vertraut ist. Allein der Gedanke daran, etwa die Seminarfacharbeit auf einem Tablet erneut verfassen zu müssen, dürfte bei allen Zwölftklässlern wohl suizidale Fantasien auslösen.
Spätestens im Informatik-Unterricht sind Tablets jedoch heillos überfordert. Es beginnt bereits damit, dass für mobile Betriebssysteme keine echten „Entwicklungsumgebungen“ verfügbar sind, die für das Programmieren oft unerlässlich sind. Es ist schlicht unmöglich, die am Rutheneum genutzte IDE „Lazarus“ auf einem Mobilgerät zu benutzen. Und selbst wenn dies möglich wäre, bräuchte man dennoch einen Rechner, um das erstellte Programm dann auch auszuführen.
Bei diesen Anwendungsfällen sehen somit wohl all jene Schüler sprichwörtlich „in die Röhre“, die über keinen eigenen Rechner verfügen. Was hat ihnen am Ende die (teils staatlich geförderte) Anschaffung eines teuren iPads gebracht? Nicht viel, möchte man meinen, oder jedenfalls nicht genug.
Fünf Gründe, keine Apple-Tablets zu nutzen
Ein weiterer zu beachtender Gesichtspunkt beim Tablet-Thema sind zudem die Hardware an sich und das Betriebssystem. Klar, Apple-Geräte können mitunter eine höhere Akkulaufzeit als vergleichbare Produkte und Laptops aufweisen, doch damit hat es sich schon.
Denn erstens sind iPads durch Apple vorsätzlich
schwer reparierbar
gebaut, um im Falle eines Defekts ein teures Einsenden zum Hersteller zu provozieren. So vergibt der Branchendienst „iFixit“ für Produkte mit angebissenem Apfel regelmäßig einen „Repairability Score“ von eins oder zwei – von zehn.
Zweitens werden sämtliche „iProdukte“ mit Apples proprietären Betriebssystemen ausgeliefert. Im Gegensatz zu Android oder Linux ist der Programmiercode von iOS und macOS nicht öffentlich einsehbar, kann also nicht von Sicherheits- und Datenschutzexperten überprüft werden. Da Apple für die so offensiv beworbene Sicherheit seiner Produkte bislang keinerlei Beweis vorgelegt hat, können sie nicht ernsthaft als „sicher“ angesehen werden.
Besonders schwerwiegend ist dies, wenn man die Wichtigkeit des Betriebssystems als solches bedenkt. Ob Handys, Tablets, Laptops, Fernseher oder SpaceX-Raketen: Praktisch jedes irgendwie „smarte“ Gerät ist heutzutage mit einem „Operating System“ (OS) ausgestattet. Es stellt eine Schnittstelle dar zwischen physischen Bauteilen (Hardware) und der zu nutzenden Programme (Software). Ohne Betriebssystem könnten Foto-Apps nicht auf die Kamera zugreifen oder Messenger keine Sprachnachrichten mittels Mikrofons aufnehmen. Solche Anwendungen würden ja überhaupt noch nicht einmal funktionieren. Man könnte auch sagen, dass ein OS die volle Kontrolle über ein Gerät hat, weshalb es so wichtig ist, dass das OS keine Sicherheitslücken oder „Hintertüren“ aufweist.
Drittens kollaboriert Apple den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden im Guardian zufolge mit den US-amerikanischen Geheimdiensten, indem sensibelste Nutzerdaten automatisiert und oftmals ohne (fallbezogenen) Gerichtsbeschluss an die NSA weitergegeben werden, wo unter anderem etwa Telefonanrufe oder Chatnachrichten auf „verdächtige“ Schlüsselwörter hin untersucht und Personendatenbanken geführt werden (vgl. „Permanent Record“, Edward Snowden). Da iOS nicht quelloffen ist, können zudem Hintertüren im Quellcode nicht ausgeschlossen werden, die Geheimdiensten heimlichen vollumfänglichen Zugriff auf das iPad oder iPhone ermöglichen. Kompatibel mit der EU-weit geltenden Datenschutz-Grundverordnung kann das alles aber wohl kaum sein.
Viertens war Apple bereits vor Jahren dabei
erwischt worden
,
ältere Produkte mit Updates
künstlich verlangsamt
zu haben, um seine Kunden zum Kauf neuer Geräte zu nötigen. Belohnt wurde diese Praxis Anfang 2020 von der französischen Wettbewerbsbehörde mit einer Millionen-Geldstrafe. Schüler an ein derartig mafiöses Unternehmen heranzuführen, scheint mehr als fragwürdig zu sein.
Fünftens können auf Apples Mobilgeräten nur „linientreue“ Apps genutzt werden, die sich vorbildlich an die autoritären Vorgaben des Konzerns halten. Wer als Entwickler zum Beispiel nicht bereit ist, horrende Provisionen zu zahlen, oder das Design seiner Apps nicht ans Apple-typische monotone Weiß-Grau anpassen möchte, wird einfach aus dem App-Store verbannt – dem
einzigen Ort
, wo iOS-Nutzer Anwendungen herunterladen können.
Entsprechen die an den Schulen genutzten Programme nicht zu 100 Prozent Apples Vorgaben, kann also gegebenenfalls mal eben der digitale Unterricht in Thüringen über den Haufen geworfen werden. Man stelle sich nur einmal vor, die iPhone-Nutzer am Rutheneum könnten von heute auf morgen nicht mehr die schul.cloud-App nutzen. Das zeigt, wie abhängig Schüler und Lehrer von der Gnade einer einzigen, riesigen, moralfreien Mega-Firma aus den USA wären.
Unterricht verkommt zur Markenwerbung
Nicht vergessen darf man den nachhaltigen Einfluss auf Schüler, den der universelle Einsatz von Apple-Technik in Thüringer Klassenzimmern haben kann. Klaus Müller, Vorsitzender des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes, erklärt im
Tagesspiegel-Interview
, die staatliche Qualitätsprüfung von Schulbüchern habe wie ein Filter gegen Werbung gewirkt, wohingegen immer mehr digitale Lehrangebote „überhaupt nicht qualitätsgesichert“ seien. Schüler würden dann verzerrt dargestellte Inhalte für bare Münze nehmen.
Wir sehen Fortbildungen für Lehrer, die dann Apple-Teacher oder Microsoft Educator Experts werden. Das hinterlässt ein Firmenbranding in den Schulen mit klarer Marketing-Absicht.“ – Verbraucherschützer Klaus Müller
Müller warnt zudem scharf vor der Monopolstellung Apples. Er sagt, wenn mit einem Endgerät zugleich ein Cloudsystem, eine Verkaufsplattform und ein App-Store mitgeliefert würden, sperrte man Schüler in eine geschlossene Produktwelt ein.
Der Auftrag der staatlichen Bildung muss es sein, kritisches Denken zu fördern und immer verschiedene Meinungen oder Handlungsoptionen aufzuzeigen. Schülern einen goldenen Käfig aufzuzwingen, führt an diesem Ziel meilenweit vorbei. Doch solange sich Wahlkämpfe mit dem bloßen Schlagwort der Digitalisierung gewinnen lassen, wird Deutschland wohl weiter auf einen Marken-gesponserten Unterricht zusteuern.
Klaus Müller betont richtigerweise, dass kontrovers diskutiert werden müsse und Schüler nicht „von Angeboten billionenschwerer Digitalkonzerne“ überwältigt werden dürften. „Zum digitalen Diskurs in der Schule gehört genauso der Chaos-Computer-Club, die Gewerkschafterin und der Kinderschützer.“ Der Chaos-Computer-Club (CCC), muss man wissen, ist ein Urgestein, wenn es um Technik und Digitales geht. Er erlangte etwa dieses Jahr bundesweit Aufmerksamkeit, als seine Mitglieder Mängel in der zur Corona-Kontaktnachverfolgung genutzten „Luca“-App
anprangerten
.
iPad- oder Samsung-Klassen verbieten sich. Microsoft darf kein Synonym für Betriebssystem und Schulcloud werden. Das hat monopolistische Tendenzen, gegen die die Politik an anderer Stelle hart vorgeht.“ – Verbraucherschützer Klaus Müller
Warum Laptops die Lösung sein könnten
Um Schüler ernsthaft auf den digitalen Berufsalltag von morgen vorzubereiten, muss es Aufgabe des Staates sein, auch für den Einsatz tatsächlich geeigneter Hard- und Software im Unterricht zu sorgen. Warum lässt man Lernende und Lehrende, wie es „politisch korrekt“ heißt, nicht schlicht und ergreifend Laptops beim gemeinsamen Wissensvermittlungsvergnügen nutzen? Diese stellen den idealen Kompromiss zwischen Mobilität und Universalität dar.
Klappbare Rechner bieten nicht nur die bereits erwähnten Funktionen bezüglich Textverarbeitung, PowerPoint und Programmieren, sondern ermöglichen darüber hinaus das Erlernen des Zehn-Finger-Tippens. Nicht jeden Buchstaben einzeln auf der Tastatur suchen zu müssen, ist heutzutage eine Grundfertigkeit im Bürodasein, nicht mehr bloß Einstellungs-Voraussetzung der 50er-Jahre-„Tippsen“, die allein fürs Abtippen beschäftigt wurden.
Ein konkreter Verbesserungsvorschlag
Wie könnte man jedoch die Situation verbessern? Dass iPads bereits mancherorts eingesetzt werden oder zumindest bestellt worden sind, macht die Chose nicht gerade besser. Langfristig gedacht, sollten Bund und Länder zunächst einmal wesentlich mehr finanzielle Mittel für den Bildungssektor bereitstellen. Mit dem zusätzlichen Geld wäre es bestenfalls möglich, jedem Schüler einen Laptop zur Verfügung zu stellen – wenigstens zur Leihe.
Nach ersten Erfahrungen ließe sich dann einschätzen, ob Tablets immer noch unbedingt notwendig sind. Sollte dies der Fall sein, wäre es Sache der Bildungspolitiker, ein geeignetes Produkt zu finden, das den hohen Anforderungen gerecht wird. Denkbar wäre ein Einkauf von hardware-mäßig hochwertigen Geräten, die standardmäßig mit dem Android-Betriebssystem ausgestattet sind, welches zwar von der
US-„Datenkrake“ Google
hergestellt wird, aber weitestgehend quelloffen ist. Auch dieses OS ist wegen der proprietären
„Google-Play-Dienste“
datenschutz- und sicherheitsmäßig nicht optimal, erlaubt aber zumindest die Installation eines anderen Betriebssystems.
So könnte man die vorinstallierte Android-Software einfach gegen ein überlegenes System austauschen, welches die Google-Mäkel eben nicht aufweist. Zukunftsmusik ist das nicht, bedenkt man, dass etwa die Bundesregierung oder die Europäische Union gemeinnützige Software-Projekte bereits heute
fördern
. Beispiele für erfolgreiche
Google-Android-Alternativen
stellen etwa LineageOS,
/e/ OS
, PureOS, GrapheneOS, CalyxOS, Ubuntu Touch, PostmarketOS und viele weitere dar.
Ist der Freistaat Thüringen tatsächlich gewillt, in Zukunft an allen Schulen iPads einzusetzen, drängt man alle Beteiligten in einen goldenen, autoritären und nicht zuletzt teuren Käfig, wo man doch stattdessen mithilfe etablierter Technik nachhaltigen, selbstbestimmten, freien und sicheren digitalen Unterricht ermöglichen könnte. Apple ins Klassenzimmer zu holen, ist jedenfalls kein Segen der Digitalisierung – sondern ein Fall fürs Bundeskartellamt.
Gustav Blaß
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