Rektor Joachim Hensel (60) verlässt das Geraer Rutheneum


Der promovierte Biologe verlässt nach fast 28 Jahren das Rutheneum

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Joachim Hensel (Foto: S. Eigenrausch)

Herr Hensel, seit dem 19. November 1989 leiteten Sie das Goethegymnasium. Wie viele Schüler verabschiedeten Sie mit dem Jahrgang 2017?

Etwa 2250.

Sie kennen sich aus, mit dem Auf-Wiedersehen-Sagen. Was bewegt Sie, jetzt, wo Sie derjenige sind, der geht?

Ich schaue zurück und denke vor allem an die schönen Momente, an die vielen Kollegen. Natürlich habe ich im Hinterkopf auch ein paar Tiefschläge. Doch wie der Mensch so ist, verblassen sie. Freude überwiegt der Wehmut. Es war meine Entscheidung, zu gehen. Mit meiner Frau. Die Ärzte rieten mir das schon vor zehn Jahren. Ich denke, wir werden uns ab nächste Woche freier fühlen. Das nächste halbe Jahr ist ausgebucht.

Sie gaben das Stichwort. Was war der schönste Moment?

Die 400-Jahr-Feier 2008. Und am bewegendsten war für mich Anfang der 90er-Jahre, als ich mich mit meinem väterlichen Freund, Herr Golze aufgemacht habe, Ruthenen in der ganzen Welt zu finden, die bis 1947 ihr Abitur hier absolvierten und wir den Förderverein zu dem machten, was er ist. Leider lebt heute keiner mehr von ihnen. Die Gespräche damals haben mich menschlich so sehr bereichert.

Was waren die Tiefschläge?

Die Zusammenarbeit mit dem staatlichen Schulamt, auf die ich verzichten kann. Das habe ich der Leitung dort auch gesagt. Ich bin kein Beamter.

Und das Hin und Her mit dem Campus. Dabei habe ich mich als Schulleiter persönlich angegriffen gefühlt. Es gab Situationen, da habe ich mich gefragt: Machst Du jetzt weiter? Ich mache weiter, weil Kollegen, der Förderverein, Bürger mir Mut zusprachen.

Haben Sie alles richtig gemacht?

Es gibt bestimmt niemanden, der alles richtig macht. Sicher war ich manchmal zu spontan, obwohl ich ein besonnener Typ bin. Ich denke mal, grundlegende Fehler sind mir nicht unterlaufen, zumindest nicht im Umgang mit Kollegen und Schülern, da habe ich immer den richtigen Ton gefunden. Ich denke für die Sachlichkeit, für die Menschlichkeit werde ich geachtet. Halt wie ich bin.

In Leipzig studierten Sie Biologie. Blieb Ihre Leidenschaft für das Fach?

Ja, Bio war immer mein Favorit, auch wenn Chemie der andere Teil des Studiums war. Ich habe auch in Biowissenschaften promoviert. Ich weiß, dass meine Schüler das biologische Spezialwissen vergessen werden. Aber den Überblick behalten sie.

Was hielt Sie ab, als junger Lehrer in die SED einzutreten?

Erstens mein christlicher Glaube. Zweitens habe ich gemerkt, dass diese Diktatur menschenfeindlich ist. Ich habe dafür gebüßt und wurde strafversetzt. Wenn die Wende nicht gekommen wäre, wäre ich nie wieder auf die Beine gekommen.

Wofür steht in dem Kontext das Bundesverdienstkreuz, das Sie 2010 verliehen bekamen?

Das steht für mich für das gesamte Engagement für die Schule, für den Aufbau der thüringenweiten Musikspezialklassen, die ohne Rainer Müller undenkbar wären. Es steht für die Zusammenführung der Generationen im Förderverein. Und es steht für mich auch für mein Engagement in der Wendezeit und dafür, dass ich keiner bin, der sich das Rückgrat verbiegen lässt. In keiner Zeit. Auch jetzt biete ich Paroli.

409 Jahre ist die Schule jetzt alt. Wofür steht sie heute?

Wir versuchen, den Schülern Werte für ihr Leben zu vermitteln. Das sind Toleranz, Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit, Höflichkeit und ein rücksichtsvoller Umgang mit­einander. Wir 600 Schüler und 75 Lehrer ziehen alle an einem Strang. Immer.

Seit elf Jahren wird für den Schulstandort des Goethegymnasium/Rutheneum seit 1608 geplant, seit 2009 an einem Ort. Was hat das Vertrösten mit Ihnen gemacht?

Es hat mich verbittert. Ich war oft kurz davor, den Glauben an die Vernunft zu verlieren. Doch Resignation schlug nie durch.

Wann, denken Sie, gibt es den neuen Campus?

Im Plan steht er für 2020. Das glaube ich nicht. Doch jetzt denke ich, dass es ihn geben wird.

1997 gaben Sie mit Sportlehrer Günther Eck den Slogan aus, dass jeder Geraer einmal im Leben zur Geraer Hütte aufsteigen sollte. Wie oft waren Sie in den Zillertaler Alpen?

Fünf Mal privat und 15 Mal war meine Frau mit Schülern dort. Nach der Maueröffnung war das unser erstes Ziel.

Nach dem Rat für Geraer interessiert mich: Was raten Sie jungen Lehrern?

Sie müssen authentisch sein, sich nicht verbiegen. Die fachliche Sicherheit kommt von allein. Das Menschliche ist das Entscheidende. Ich habe auch mal Fehler zugegeben.

Würden Sie sich wieder für den Beruf entscheiden?

Für den Beruf ja. Aber ich würde nicht wieder Schulleiter werden. Da muss man an so vielen Fronten kämpfen, dass man es manchmal kaum aushält.

Sylvia Eigenrauch (22.06.17)